Footprint Übersetzungen

Handprint und Footprint in der Übersetzung – was darf und was muss sein?

Übersetzer hinterlassen ihre Spuren – zum Glück!

In den meisten Fällen erfüllen Übersetzer und Dolmetscher ihre Sprachmittleraufgaben im Verborgenen. Bei internationalen Kongressen und politischen Gipfeln sitzen die Dolmetscher unsichtbar für alle Beteiligten in der Sprecherkabine. Und Übersetzer arbeiten an ihrem Schreibtisch im Home-Office, bei Schönwetter im Garten, manchmal am Balkon, doch nie stehen sie selbst als Person im Rampenlicht, sind sie also unsichtbar?

So scheint es auf den ersten Blick …

… doch weit gefehlt, denn Übersetzer hinterlassen ihren eigenen ganz persönlichen Handprint und Footprint in den Texten, die sie übersetzen.

Handprint des Übersetzers

In der Literatur: Der Übersetzer schreibt mit

Verlage bemühen sich unabhängig ihrer Themen- und Preiskategorien für die Übersetzung der Bücher vor allem von produktiven Bestseller-Autoren konsequent immer denselben freiberuflichen Mitarbeiter zu verpflichten. Aus gutem Grund: Die bestehende Fangemeinde hat sich an einen bestimmten Sprachduktus gewöhnt, denn ein jeder Übersetzer lässt bei aller Texttreue seine eigenen stilistischen Vorlieben in den Text einfließen, er erschafft eine für ‚seinen Autor‘ stimmige und routinierte Sprachwelt, die nach und nach zu einem Erkennungsmerkmal wird. Die Leser identifizieren intuitiv Wortwahl, Sprachrhythmus, -melodie und möchten sich innerhalb ihrer Lieblingsbuchreihe sozusagen in einem vertrauten, liebgewonnenen Universum wissen.

Ähnlich ist es bei den Synchronstimmen bekannter Schauspieler: Viele treue Downton Abbey-Fans konnten sich im aktuellen Spielfilm ‚Eine neue Ära‘  nur schwer an die neue Synchronstimme von Maggie Smith gewönnen, empfanden die neue Stimme geradezu als Persönlichskeitsentstellung der alten Lady Grantham. (Barbara Adolph, die über Jahrzehnte Maggie Smith ihre deutsche Stimme verliehen hat, ist gestorben und wurde durch Ursula Werner ersetzt).

Der wissenschaftliche Vergleich zwischen Übersetzungen zeigt, dass es nicht um die EINE nachprüfbare „Richtigkeit“  geht, sondern dass die stilistischen Nuancen und die Entscheidungen für das eine oder andere Wort, die ein Übersetzer trifft, erkennbar seine Handschrift und seine Interpretationen widerspiegeln. Allseits bekannt – wenn auch nicht immer entsprechend gewürdigt – ist, dass Übersetzungen einen großen Anteil an der Wahrnehmung und Rezeption von Büchern haben, ja sogar einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob die Werke eines Autors ein internationaler Erfolg und gar zur Weltliteratur werden. Viele hochrangige Autoren pflegen mit ihren Übersetzern einen intensiven, geradezu freundschaftlichen Austausch. Die Literaturübersetzerin Dagmar Ploetz sagte in einem Interview, sie habe ein Vierteljahrhundert mit Gabriel García Márquez verbracht, im Geiste natürlich!

Und nicht zuletzt, was wäre Entenhausen ohne Erika Fuchs, die die ganze Comic-Welt von Micky Maus mehr als 50 Jahre lang mitprägte.

Oder Harry Rohwohlt, die ‚Inkarnation‘ von Winnie the Pooh, Puh der Bär. Der überaus sympathische Honigschlecker hätte ohne Harry sicher nie eine solche Berühmtheit erlangt.

Und Swetlana Geier, die die fünf großen Romane von Dostojewskij neu übersetzt hat, eine wahrhafte Mammutaufgabe, sie nannte sie liebevoll die 5 Elefanten. Und beschrieb ihre Arbeit wie folgt:

„Meine Lehrerin hat immer gesagt: ‚Nase hoch beim Übersetzen’. Das heißt, man übersetzt nicht von links nach rechts, wie die Sprache läuft, sondern nachdem man sich den Satz angeeignet hat. Er muss nach Innen genommen, ans Herz gelegt werden. Ich lese das Buch so oft, bis die Seiten Löcher kriegen. Im Grunde kann ich es auswendig. Dann kommt ein Tag, an dem ich plötzlich die Melodie des Textes höre.“

Swetlana Geier wagte es sogar, den bereits etablierten Titel von ‚Schuld und Sühne‘ in ‚Verbrechen und Strafe‘ zu ändern.

Die Liste der herausragenden Übersetzer und Übersetzerinnen wäre noch endlos fortzusetzen, wir möchten ihnen hier nur einen kleinen Einblick vermitteln.

In der Wirtschaft: Der Übersetzer prägt die Marke mit

Die eigene Marke, das Corporate Wording und die Corporate Language international erfolgreich zu etablieren, heißt kreativ und schlüssig der eigenen Linie treu zu bleiben und die Werbebotschaften einheitlich auf die Zielgruppe abgestimmt zu formulieren. Im Marketing hat der Übersetzer eine besonders gestaltende Funktion. Und wie ein Künstler aus den ihm zur Verfügung stehenden Materialien eine Skulptur erschafft, überträgt der Übersetzer mit einem hohen Maß an Eigenständigkeit und Kreativität die Claims und Werbebotschaften in die Zielsprache. Er verleiht Ihrem Unternehmen eine internationale Stimme, dazu gehört, dass er sich im Vorfeld intensiv mit der Firmenphilosophie vertraut macht. Der Übersetzer ist in dem Falle Co-Autor Ihrer Firmenkommunikation und Ihrer Marke. Seine Handschrift ist wertvoller Teil Ihrer Stimme, Ihrer Tonalität, Ihrer Corporate Identity und Ihrer Positionierung in Ihrem Zielland. Gerade deshalb ist es wichtig, eine Kontinuität zu bewahren, bei den Stammübersetzern zu bleiben und nicht den Sonderangeboten folgend hin und her zu wechseln. Es lohnt sich, auch wenn der langjährig zuständige Übersetzer in Urlaub ist, zu warten, bis er wieder verfügbar ist.

Footprint des Übersetzers

Gehören Fußnoten in eine Übersetzung?

Nicht ja, nicht nein! Es kommt darauf an…

„Eigentlich“ ist es die Aufgabe des Übersetzers, einen fertigen und ohne Weiteres, also ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Hilfsmittel, verwendbaren, gut lesbaren und verständlichen Text zu liefern. Er soll die Brücke bauen zwischen Ausgangssprache und Zielsprache. Das ist die ‚eigentliche‘ Vorgabe, aber manchmal sieht es anders aus.

Texte für die Unternehmenskommunikation

Alles, was der Unternehmenskommunikation dient, muss ohne Fußnote lesbar, verständlich und stimmig sein. Dies gilt natürlich ganz besonders für Marketingtexte, Korrespondenzen, aber ebenso für Pressemitteilungen und Broschüren. Eine gute Übersetzung muss wie ein Original zu lesen sein und darf insofern keine Fußnoten enthalten.

Oder doch eine Fußnote?

Journalistische und (sprach-)kulturell informative Texte

Mitunter können Fußnoten oder in Klammern eingefügte Anmerkungen in der Tat nicht nur hilfreich, sondern auch als Teil des Inhalts notwendig sein. Dies gilt zum Beispiel für Zeitungs- und Fachartikel, wenn die Wahl eines bestimmten Begriffs im Ausgangstext ein wichtiges Element der Aussage-Absicht darstellt und ausdrücklich als solche unterstrichen und veranschaulicht werden sollte.

Auch Texte, die sich mit touristischen Sehenswürdigkeiten, Brauchtum, Kulinarik beschäftigen, kommen manchmal nicht ohne erklärende Ergänzungen aus: Der Übersetzer ist hier Kulturmittler, und es gehört zu seinen Aufgaben, beschreibend nahezulegen, was kulturell zu fremd ist, um lexikalisch ausgedrückt und verstanden zu werden.

Literarische Übersetzungen: Zeitenwandel

In früheren Zeiten wurde mit Fußnoten gearbeitet, um Gegenstände und Situationen, die in der Allgemeinbildung bzw. dem Kanon des Ziellandes nicht vorausgesetzt werden konnten, zu erklären. Im Zuge der Globalisierung und dank des Internets bergen Scones, Quiches, Kabuki, Magdalenas, Sakura und Gong Fu Cha nicht mehr die Geheimnisse, die sie noch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein für den durchschnittlich belesenen Laien darstellten. Fußnoten sind bis auf wenige Ausnahmefälle in der Übersetzung von Dichtung und Prosa weitgehend verpönt. Im oben zitierten Interview antwortet Dagmar Ploetz auf die Frage, ob es zusätzliche, erklärende Einschübe braucht:  „Nein, das mache ich nie. Ich mache kein Glossar und keine Fußnoten.“

Es gilt unausgesprochen als Bringschuld des Übersetzers, einen eigenen Text zu kreieren, der als selbstverständlich wahrgenommen wird. Im Zweifelsfall ist es erwünscht, dass der Lokalkolorit zugunsten einer größeren Verständlichkeit geglättet oder ganz weggebügelt wird.

Fußnoten als Teil der Übersetzung

Informationsübersetzungen und verhandlungsrelevante kaufmännische Korrespondenz

Manchmal ist es nicht nur wichtig, zu verstehen, was in einem Text steht, sondern auch das Nichtgesagte, das sich zwischen den Zeilen verbirgt, genau ermessen und einschätzen zu können. Eine Übersetzung allein ermöglicht es nur bedingt, nonverbale Botschaften zu vermitteln. Fällt die Schlussformel eines Geschäftsbriefes etwa aufgrund ihrer ausdrücklichen Herzlichkeit auf, die im deutschen Sprachraum deshalb keine Entsprechung findet, weil diese Art von suggerierter Nähe im beruflichen Umfeld schlicht nicht existiert, muss der Übersetzer den für den unvorbereiteten Leser überraschenden Begriff, die Facetten seiner Bedeutung und seine Implikationen nicht nur besonders hervorheben, sondern auch kontextuell einordnen:

  • Wäre eine solche Formulierung im Ursprungsland eine bemerkte Ausnahme und Abweichung von der Norm?
  • Was sagt sie über die vom Absender signalisierte Beziehungsentwicklung aus?
  • Wie würde sie von einem muttersprachlichen Empfänger emotional und sachlich rezipiert?
  • Was sagt der Text über das Bildungsniveau und den sozialen Stand des Gesprächs- oder Geschäftspartners aus?

All dies trägt dazu bei, geschäftliche Beziehungen präziser einzuschätzen, und ermöglicht im Gegenzug erst eine angemessene Reaktion.
Selbst eine Beleidigung, die in einem Land als besonders krude empfunden wird, kann in einem anderen gewohnheitsmäßig als eher wenig anstößig verwendet werden. Eine Übersetzung ohne Erklärung des Kontextes der Sprachebenen wäre in einem solchen Fall nicht hilfreich bzw. unvollständig: In diesem Falle ist es die Pflicht des Übersetzers, eine Anmerkung zu machen und zu erklären, ob es sich um einen gedankenlosen Sprachgebrauch oder um einen deutlichen verbalen Angriff handelt.

Ebenso kann eine ungewohnte Formulierung in einem Brief, einer Auftragsbestätigung, einer Ausschreibungsbeschreibung das Ziel haben, eine kaufmännische Unklarheit zu schaffen, die später ausgenutzt werden könnte. Zuweilen kann der Unterschied zwischen einem Standardtext und einem Fallstrick sehr gering sein und durch Worte alleine nicht ausreichend deutlich werden. Der Übersetzer sollte dann darauf hinweisen, wenn dies selbst aus einer genauen und guten Übersetzung nicht notwendigerweise hervorgeht.

Juristische Übersetzungen – hier zeigt sich der Fachübersetzer

AGB, Verträge, Urkunden und ganz allgemein offizielle Unterlagen gelten als trockene Materie, bei der Kreativität weder erforderlich noch erwünscht sein kann. In der allgemeinen Vorstellung ist gerade in einem so konkreten Bereich, in dem Eindeutigkeit von höchster Bedeutung und zugleich als naturgegeben gilt, kein Erklärungsbedarf zu erwarten. Tatsächlich ist es nicht so einfach: Begriffe können in der Rechtspraxis des Ziellandes einerseits durchaus als „Wort zu Wort“-Übersetzung problemlos übertragbar sein, und dennoch eine andere Realität in sich tragen. Gern zitiert wird hier die Unterscheidung zwischen „Garantie“ und „Gewährleistung“ im deutschen Sprachraum, die in vielen Ländern nicht gegeben ist.

Ebenso wichtig ist es, dass der Übersetzer in offiziellen Dokumenten durch Fußnoten auf etwa unterschiedliche Schreibweisen oder weitere Unregelmäßigkeiten aufmerksam macht, die als Formfehler relevant sein könnten.
Die Tücke liegt zuweilen auch wirklich im Detail: Fristenangaben, Netto- und Brutto-Beträge werden nicht überall auf der Welt identisch verstanden, und so ist es Aufgabe des Übersetzers, auf eventuelle Probleme und Unstimmigkeiten aufmerksam zu machen bzw. die Zweideutigkeiten, die sich daraus ergeben könnten, hervorzuheben. Genauso, wie Juristen in ihrem Land lernen, Gesetzestexte zu interpretieren und ihre eigentliche Lesart zu präzisieren, müssen auch Übersetzer von Rechtstexten und Urkunden mitunter explikativ den Leser unterstützen.

Dies waren nur einige Beispiele dafür, wie Übersetzer ihre Spuren hinterlassen, und zwar nicht nur im weiten Kosmos der Literatur. Sie legen Ideen und Inhalte frei, führen über kunstvoll ausgearbeitete Pfade in die Welt Ihrer Geschäftspartner und zu Ihnen zurück. Sie helfen Ihnen, Image und Renommee Ihres Unternehmens im Ausland eindrucksvoll festzulegen.

Übersetzer als Spurensucher, Spurenfinder und Spurengestalter und sie haben dabei hoffentlich immer die Nase hoch :-)

 

In diesem Artikel habe ich das generische Maskulinum verwendet, einfach der Lesbarkeit halber. Natürlich sind alle Übersetzerinnen in großer Achtung und Anerkennung miteingeschlossen.

 

31. Juli 2022 | Redaktion Martina Schmid |