Sprachkulturelle Vielfalt in Zeiten von Corona – wie sprechen wir über Corona?

Was Begriffe in der Corona-Krise über die Länder Ihrer Geschäftspartner verraten.

Die Pandemie, die die Welt nun seit Monaten heimsucht, hat nicht nur unseren Alltag, unser Privat-, Arbeits- und Geschäftsleben schlagartig verändert, sondern auch die Art, wie wir miteinander reden. Dies betrifft sowohl die Kommunikationswege, die vermehrt die digitalen Optionen von Videotelefonie und Online-Konferenzen nutzen, als auch unser Vokabular. Wir haben nicht nur neue Begriffe gelernt und schon so verinnerlicht, dass sie uns in einer aus sprachgeschichtlicher Sicht verblüffend kurzen Zeit als selbstverständlich vorkommen. Aus dieser Tatsache lässt sich außerdem gewissermaßen im Zeitraffer ablesen, wie Sprache lebt, sich entwickelt und anpasst, aber auch wie unterschiedliche Sprachkulturen, der jeweiligen Mentalität entsprechend, mit den Ereignissen umgehen.

Die Pandemie bekämpfen: Kriegsvokabular

Kriegsvokabular in Zeiten von Corona

Regierungsrhetoriken und globaler PR-Trend

Besonders in der ersten Phase des Ausbruchs galt es für Regierungen, den Ernst der Lage zu vermitteln, gleichzeitig die Bevölkerungen von den notwendigen Maßnahmen zu überzeugen, sie zur freiwilligen Beteiligung anzuregen, ein Gemeinschaftsgefühl heraufzubeschwören und Zuversicht zu verbreiten – kurzum: zu mobilisieren …
Der französische Staatschef Emmanuel Macron ließ in seinen Ansprachen, ob im Fernsehen oder vor Ort, keine Gelegenheit aus, sich eines bewusst sehr scharfen militärischen Vokabulars zu bedienen. Er verkündete nicht nur in einer seiner ersten Reden, Frankreich und die Welt befänden sich im Krieg, sondern blieb auch dieser Linie treu, als er zum ersten Mal vermelden musste, dass ein Krankenhausmitarbeiter dem Virus erlegen war. Mit einem Anzug in Tarnmuster gekleidet sprach er in Mühlhausen an jenem Abend einen unvergesslichen Satz: „Aujourd’hui, le premier soignant est tombé“ – heute ist die erste Pflegekraft gefallen.
Ähnlich verhielt es sich in Italien, wo Regierungschef Conte Begriffe wie „combattere“, „battaglia“, „difendere“ (kämpfen – Schlacht – verteidigen) verwendete und auch die Pressekonferenzen von Präsident Trump strotzen nur so vor Wörtern wie „enemy“, „war“ und „weapon“.

Den Dingen einen Namen geben – die Sprache der Vergangenheit

Manche ältere Menschen in aller Welt fühlten sich sodann im Alltag an den Zweiten Weltkrieg erinnert, und die Lebensmittel- und Toilettenpapierknappheit war nicht der einzige Grund dafür. Begriffe wie „Ausgangssperre“, „Ausgangsbeschränkungen“ in breiten Teilen des deutschsprachigen Raums, „couvre-feu“ in Frankreich und das ihm angelehnte „curfew“ im Englischen hatten für viele von ihnen einen traurigen und beunruhigenden Beigeschmack.

Akzeptanz schaffen: im Schutz der Sprache

Hatte vielerorts das wenig medizinisch-sachliche Vokabular erfolgreich das Ausmaß der Gefahr in greifbare und für alle verständliche Größen übertragen (ja übersetzt!), so musste auch deutlich werden, wie Schutz aussehen könnte.

„Lockdown“: textpsychologisch durchdacht und effizient

Der Begriff „Lockdown“, der über die englischen Medien um die Welt ging und in der zweisprachigen internationalen Kommunikation weitgehend übernommen wird, kommt ursprünglich aus der Schiffs- und U-Boot-Sprache. Wird er undifferenziert für Ausgangssperren und Geschäftsschließungen verwendet, so bietet er jedoch den Vorteil, durch seine Bildhaftigkeit ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln, und sagt nichts anderes aus, als dass es möglich sei, eine Luke, eine eiserne dichte Tür, einen schweren Rollladen herunterzulassen und sich in einem kleinen, aber dichten, geschützten und sicheren Raum aufzuhalten, bis die Gefahr vorüber ist oder Rettung naht. Dies ist eine kluge sprachliche Taktik, die zum einen ein einfaches, leicht verständliches Wort nutzt, zum anderen die beruhigende Geborgenheit eines unüberwindbaren Panic-Rooms oder eines Prepper-Bunkers suggeriert. Eine solche Sprachebene ist auch wirtschaftlich hilfreich, weil der Eindruck entsteht, dass hinter dem sicher verschlossenen gepanzerten Vorhang eine relativ große Normalität möglich ist.

In den sozialen Netzwerken ist in der Tat zu beobachten, dass in Neuseeland und England etwa insbesondere bei Kleinselbständigen und Bildenden Künstlern produktivere Arbeit aufrechterhalten blieb und bleibt, als es in anderen Ländern der Fall ist. Hier zeigt die unterbewusste Wirkung von Sprache – ein Thema, das Übersetzer vornehmlich im Marketing- und PR-Bereich besonders gut kennen und beherrschen –, wie wichtig die Wahl der richtigen Worte sein kann.

„Confinement“ – Frankreichs Liebe zu Kultur und Form

Mona Lisa mit Corona-Schutzmaske

„Confinement“ beschreibt in Frankreich die überaus beeindruckende Bandbreite von Maßnahmen, die vom kompletten Ausgangsverbot bis hin zu Betriebsschließungen reichen und insgesamt für ein Land, das „Liberté“, also Freiheit, als erstes Wort des Staatsmottos über alles stellt, überraschend strenge Verbote und enggefasste Vorschriften beinhalten. Doch Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn nicht auch jetzt humanistische Bildung und Kultur die Rhetorik prägen würden.
„Confinement“ ist ein äußerst interessantes Wort und bedeutet eigentlich „Abgeschiedenheit“, „Abgeschlossenheit von der Welt“, „Abkapselung“. „Se confiner“ heißt im normalen Sprachgebrauch „sich in die Einsamkeit zurückziehen, sich absondern“, „se confiner chez soi“ „sich von der übrigen Welt abkapseln“, „se confiner dans quelque chose“ „sich auf etwas beschränken oder festlegen“ und „se confiner dans ses études/dans son travail“ „sich in seine Studien/seine Arbeit vergraben“. Diese Begriffsfamilie suggeriert also in erster Line ehrenhafte und gelehrte Weisheit – aus Verboten wird das freiwillige, intellektuell fördernde Dasein eines Eremiten. Zudem hat das Wort einen leicht altmodischen, „verstaubten“ Anklang, der es einer zu scharfen Eingrenzung entzieht.
Ebenso sprachkulturtypisch ist die „Attestation de déplacement“, die es ermöglicht, für unvermeidbare Besorgungen das Haus zu verlassen … und den Stellenwert präziser und für Nichtmuttersprachler nicht immer nachvollziehbarer Formulierungskunst einmal mehr offenbart.

Auch Spanien bezeichnet – ähnlich wie Frankreich – die strengen Maßnahmen zur Regulierung des Gesellschafts- und Wirtschaftsleben in Zeiten der Covid-19-Pandemie mit dem Wort „confinamiento“. Daraus haben sich Neologismen entwickelt wie „desconfinamiento“, die wohl allmähliche Beendigung der Maßnahmen in vier Phasen, und das Verb „desconfinar“ / „desconfinarse“. So sagt eine Frau, die auf den Kanaren lebt, zu ihren Geschwistern auf dem Festland: „Parece que me voy a poder desconfinar antes que vosotros“.

Schnell fand auch das Akronym EPI (equipo de protección individual), der einfache Schutzanzug des Personals im Medizin- und Pflegebereich, seinen Eingang in die Alltagssprache und Mediensprache und bildet inzwischen den Plural wie ein Substantiv („los EPIs“, „muchos EPIs“). Das Oxymoron „volver a la nueva normalidad“ (zurückkehren zur neuen Normalität) birgt die ganze Hoffnung auf ein halbwegs glückliches Ende der Pandemie und des „confinamiento“ und zugleich große Ungewissheit über das Leben danach.

„Kontaktsperre“ – das deutsche Wort schränkt ein und gibt gleichzeitig Hoffnung

Der Begriff ‚Kontaktsperre‘, der in Deutschland gewählt und medial verbreitet wurde, ist im internationalen Vergleich ein Kuriosum und wurde von der Presse im Ausland als solches bestaunt. Die Kontaktsperre stammt ursprünglich aus der Rechtssprache und wird als Vorsichtsmaßnahme zum Schutz vor gewalttätigen Ehepartnern, Stalkern und bedrohlichen Mitmenschen verhängt.

Was meint das Wort ‚Kontaktsperre‘ aktuell in Zeiten von Corona?

Aufgrund seiner juristischen Herkunft vermittelt der Begriff Autorität und flößt selbstredend Respekt ein. Auch lautmalerisch kommt das Wort eher wie ein knapper Peitschenhieb daher, verglichen mit dem doch wesentlich geschmeidigeren Wort „Ausgangsbeschränkungen“ in Österreich. Es verwundert also nicht, dass der eine oder andere Deutsche sich in seinen Grundrechten beschnitten fühlte, während in Österreich die Maßnahmen von Beginn an eine breite Zustimmung in der Bevölkerung fanden (die Gründe hierfür sind natürlich nicht ausschließlich in der Begrifflichkeit zu suchen).

Und das Wort ‚Sperre‘, es hat auch Potential für die Zukunft: eine Sperre ist an sich etwas Vorübergehendes. Eine Sperre wird in absehbarer Zeit – wann das sein wird, steht im Vorfeld nicht fest – aufgehoben und alles geht erwartungsgemäß wieder seinen gewohnten Gang. Man denke nur an die Sperre eines Fußballspielers nachdem er eine rote Karte erhalten hat. Es geht irgendwann wieder weiter – Hoffnung für die Zeit nach Corona.

Humor und gute Laune auch in der Coronakrise – am Beispiel der Niederlande und Österreich

Unsere holländischen Nachbarn beweisen in diesen Wochen eine ungewöhnliche Disziplin und werden ihrem Ruf gerecht, die Dinge anders, in vielen Fällen positiver zu sehen. Über 700 Wörter stellten sie in einem speziellen Wörterbuch zusammen. Darin finden sich so lustige Ausdrücke wie ‚Corona-Frisur‘, ‚Snotterschaamte‘,  ‚Schniefscham‘ oder auch ‚Händeschüttelverbot‘ oder ‚Lockdown-Kilos‘.

Und die Wiener werden natürlich ganz in der Helmut Qualtinger Tradition (wir erinnern uns an den legendären Herrn Karl) ganz besonders treffsicher, mit sarkastisch-ironischen Wortschöpfungen: Für die Schutzmasken zum Beispiel ‚Papp’n-Deckerl‘, ‚Goscherl-Vorhang‚, ‚Goscherlfetzn‘ bis hin zur degutanten ‚Schlaatzbremse‚ oder dem ‚Fotznfetzn‚. Na Servas! Gereimt wird auch der Spruch der Müllmänner der MA 48 und folgendermaßen abgewandelt: ‚Nimm ein Sackerl fürs Gackerl und bind ein Kapperl vors Papperl‘. (Brauchen Sie hierfür etwa eine Übersetzung? :-)

Andere Länder, andere Sitten

Die Art, wie einzelne Länder sprachlich mit der Pandemie umgehen, ist bei weitem nicht nur für interessierte Laien oder Linguisten relevant, sondern sie zeigt vor allem, wie wichtig, ja unerlässlich sprachkulturelles Verständnis – auch in Form von Kommunikationsberatung und hochwertiger differenzierter Übersetzungsarbeit durch Muttersprachler – für einen zielgerichteten und zielführenden internationalen Austausch ist. Auch in einer globalisierten Welt und angesichts der Gefahr bleibt die jeweilige sprachliche Interpretation jeder Situation das individuelle Abbild der Werte und der gesamtgesellschaftlichen Muster, die nicht nur „auch“, sondern „gerade“ für erfolgreiche geschäftliche internationale Beziehungen entscheidend sind.

Fotos: @canva