Bosai Notfallrucksack auf Tatami Matte

BOSAI – ein Sicherheitskonzept aus Japan wird zum Exportschlager

Japan wird seit jeher und bis heute immer wieder von Naturkatstrophen heimgesucht. Erdbeben, Tsunamis, Taifune und Vulkanausbrüche haben die Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg geprägt. Im Laufe der Zeit wurden originelle Maßnahmen zum Katastrophenschutz entwickelt, die inzwischen nicht nur in Japan selbst enorm wichtig sind, sondern auch über Japans Grenzen hinaus. Was unter dem Namen Bosai, japanisch 防災, zusammengefasst wird, bedeutet Prävention, Vorbereitung, effiziente Reaktionsfähigkeit, bis hin zu Wiederaufbaumaßnahmen und ist heute weit mehr als ein nationales Schutzsystem. Die damit verbundenen Strategien und Produkte werden inzwischen weltweit exportiert und in Krisengebieten auf dem gesamten Globus eingesetzt. Dadurch sind sie zu einem eigenständigen Wirtschaftsfaktor geworden. Getragen von einer ganzheitlichen Idee, die auch in anderen Bereichen erstaunlich zeitgemäß und zukunftsträchtig ist. Das Bosai Forum in Sendai hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bosai international bekannt zu machen und das Wissen sowie bewährte Praktiken rund um den Katastrophenschutz weltweit zu verbreiten und die gesellschaftliche Resilienz zu stärken.

Aus der Not geboren: Die Anfänge von Bosai

Was kann die Bevölkerung tun, wenn sie alles verloren hat, und nur noch das besitzt, was sie am Leibe trägt? Wie kann sie sich vor Katastrophen schützen, vorbeugen, sich vorbereiten. Dies ist der Grundgedanke hinter Bosai. Ein System, das auf Eigenverantwortung und kollektive Vorbereitung setzt. Schon früh gab es, bevor das Wort ‚Tutorial‘ überhaupt bekannt war, in Japan allerorts verbreitete Anleitungen, wie man im Notfall zum Beispiel aus Müllsäcken Regenponchos und Schuhe aus Kartons basteln kann. Selbsthilfe und Staatshilfe gehen in Japan Hand in Hand.

Von der Notlösung zum vollwertigen Wirtschaftszweig

Was als notdürftige Lösung begann, wurde bald professionalisiert und von innovativen Unternehmen und Start-ups aufgegriffen. Not macht erfinderisch, im wahrsten Sinne des Wortes. Die BOSAI-Ausrüstungspalette ist vielfältig:

Angefangen bei Funktionswesten mit wasserdichten Taschen für Energieriegel, Streichhölzer und persönliche Papiere über Bosai-Spezialrucksäcke, japanisch 防災リュック, die von den Kommunen ausgegeben werden. Sie enthalten wichtige Gegenstände, um nach einer Katastrophe mehrere Tage autark überleben zu können, dazu gehören ein Erste-Hilfe-Set, Taschenlampe und Batterien, Handy-Ladegerät, Trillerpfeife, Mehrzweckdecke, Nahrungsmittel und Wasser.

Und die Nahrung: Der Bäcker Akimoto entwickelte nach dem schweren Kobe-Erdbeben 1995 ein Dosenbrot, das Kyu Can Cho, japanisch 救缶鳥 mit einer Haltbarkeit von bis zu 20 Jahren. Von außen sieht es aus wie eine Getränkedose. Die Rezeptur des Brotes und die Dose selbst wurden speziell entwickelt, damit das süßliche Weißbrot in seiner Textur weich und feucht genug bleibt und dennoch nicht schimmelt. Das Brot ist zum Sofort-Verzehr geeignet, ist eine schmackhafte Notfallnahrung und die Dosen können anschließend als Tasse oder Behältnis weiterverwendet werden.

Die Bosai-Ausrüstung umfasst auch Parkbänke mit einem integrierten Notfall-Ofen, japanisch かまどベンチ (Kamado Bench, sinngemäß: Herd-Bank). Diese Bänke fungieren im Alltag als ganz normale Sitzgelegenheiten und lassen sich bei Naturkatastrophen zu Kochstellen umwandeln. Sie sind speziell für die Katastrophenhilfe im öffentlichen Raum konzipiert. Die Sitzfläche enthält alle notwendigen Ofen-Komponenten, die sich im Notfall herausnehmen und als Kochstelle nutzen lassen. Laut Beschreibung passen zwei 45-Liter-Töpfe auf den eingebauten Herd, womit bis zu 300 Portionen Suppe zubereitet werden können. Die Konstruktion schützt effektiv vor Hitzeabgabe zum Boden hin und ist sehr robust und dennoch leicht. Es gibt mehrere Varianten, unter anderem auch mit Armlehnen oder als Hocker. Im Alltag dienen sie einfach als robuste, pflegeleichte Sitzmöglichkeiten im Park oder an öffentlichen Plätzen.

 

Kamado Bench, Japanischer Notfall-Ofen im Park

 

Ein weiteres Besipiel sind Bosai-Betten und Wohneinheiten aus Pappe und Holz, die mit wenigen Handgriffen auch von ungeübten, nicht kräftigen Menschen leicht aufgebaut werden können und wiederverwendbar sind. Das Pappbett ursprünglich nur ein Notbehelf hat mittlerweile auch in westlichen Schlafzimmern von jungen Leuten Einzug gehalten, weil es praktisch, billig und stabil ist.

Export in alle Krisenregionen und darüber hinaus

Ob Krieg, Naturkatastrophen, Energiekrisen, Hungersnöte – Bosai aus Japan ist so innovativ und effizient, dass die Produkte mittlerweile zum Exportschlager geworden sind. Viele Hilfsorganisationen, die UNO und Regierungen in gefährdeten Regionen kaufen Ideen und Produkte gleichermaßen ein und arbeiten mit japanischen Erfindern zusammen, um bereits vorhandenen Konzepte zu verbessern oder neue erstmals einzurichten. Mit diesen internationalen Kooperationen geht ein wachsendes Bewusstsein für kulturelle Unterschiede und die Notwendigkeit von Sprachkenntnissen einher, die in Japan nicht selbstverständlich sind.

Wie aus Katastrophenschutz Umweltschutz wurde

Viele der Konzepte finden nicht nur im ursprünglichen Kontext Beachtung. Erfindungen zur Wiederaufbereitung von Abwasser zu Trinkwasser mit einem lächerlich kleinen und kostengünstigen Aufwand oder zur Energieversorgung ohne Infrastruktur, die im kleinen Maßstab sehr erfolgreich eingesetzt werden, öffnen im Größeren die Tür zum Bereich Umweltschutz und Nachhaltigkeit und Zero-Waste-Wirtschaft.

Problem Sprache: Japan erkennt immer mehr die Notwendigkeit von (guten!) Übersetzungen

Wird es als selbstverständlich betrachtet, dass man des Japanischen mächtig sein sollte, wenn man sich in Japan über längere Zeit und erst recht aus beruflichen Gründen aufhalten will, so hat sich in der Tsunami-Katastrophe gezeigt, dass Bosai in sprachlicher Hinsicht unzureichend war. Ausländische Touristen und Arbeitskräfte konnten nicht ausreichend informiert und betreut werden, weil es keine übersetzten Informationen gab, und während die Versorgung der einheimischen und im Bosai routinierten Bevölkerung zügig und effizient voranging, blieben Ausländer sich selbst und ihrer Angst überlassen. Mittlerweile werden alle Bosai-Broschüren, Hinweis-Schilder zu Notunterkünften und sonstige Anweisungen nach und nach übersetzt, und der Formulierung solcher Konzepte in anderen Sprachen wird eine zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt. Ebenso wird versucht, seelsorgerische Helfer und Notärzte mindestens auf Englisch ein wenig zu schulen, und Warn-Apps sind mittlerweile zu einem großen Teil in Englisch, Chinesisch und Koreanisch verfügbar.

Bosai ist ein wunderbares Beispiel für interkulturelle Zusammenarbeit und zukunftsweisende länderübergreifende Sicherheitslösungen. Was einst im Ausnahmezustand entstand, ist heute ein hochspezialisierter, global anerkannter Sektor, der klassische Notlösungen nicht nur ergänzt, sondern als vollwertiger leistungsstarker Wirtschaftszweig langfristig ablöst und neue Standards setzt.

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